Aerodynamik

Im Fokus

Er wird einfach nie fertig. Unablässig definieren Ingenieure die Aerodynamik des Porsche 919 Hybrid neu. Für die Saison 2017 erhielt der Prototyp eine komplett neue aerodynamische Auslegung. Die Weiterentwicklung ist nicht nur der Performance, sondern auch der Sicherheit geschuldet: Das Reglement will verhindern, dass die Prototypen endlos schneller werden und auch Sorge tragen, dass sie bei ungeplanten Bewegungen, etwa einem Dreher, nicht abheben.

Jedes winzige Detail, das die Stirnfläche vergrößert oder verringert und so den Luftstrom beeinflusst, ist übersetzbar in Rundenzeiten. Aber vor allem dient das Gelernte bei Porsche der Strömungsoptimierung zukünftiger Straßenfahrzeuge – für geringeren Verbrauch und noch bessere Performance.

Beispiel Tür: Für die nur rund drei Kilogramm leichte Tür ist eine Mindestgröße vorgeschrieben. Der Fahrer muss binnen sieben Sekunden aussteigen können. Für den Notfall ist ein Quick-Release-System Pflicht, um die Tür aus den Scharnieren zu befreien. Zusätzlich muss die Fahrertür als Träger einer Kopfstütz-Struktur dienen. Sie ist aus Formgedächtnispolymer gefertigt und mit Aramid-Faserverbundkunststoff bezogen. Um auch einen heftigen Anschlag durch den Fahrerhelm bestehen zu können, wird der Türrahmen mit 700 Kilogramm in Querrichtung belastet und muss nach dem Test unversehrt sein. Aerodynamisch entscheidend: Während der Fahrt baut sich seitlich des Cockpits ein Niederdruckbereich auf, der die Tür mit bis zu 60 Kilogramm nach außen zieht. Der Rahmen muss so steif sein, dass es nicht zu aerodynamischen Störungen kommt. Er besteht aus Faserverbundkunststoff mit Hochmodul-Carbon-Faser, die Scheibe aus mindestens zwei Millimeter starkem Polycarbonat.

Beispiel Radkasten: In Silverstone ist das Loch am vorderen Radkasten unscheinbar glatt gekantet. In Le Mans ist es Richtung Reifen eingezogen. Auf dem Nürburgring hat es noch eine Lippe. Solche Detailveränderungen sind Ergebnisse intensiver Aerodynamik-Arbeit. Sie ist nie ziellos, aber endlos. Besser geht immer.

Detailmodifikationen sind in einem gewissen Rahmen für jede Rennstrecke erlaubt. Komplette Aero-Pakete lässt das Reglement ab 2017 nur noch zwei pro Saison zu. Deren Auslegung orientiert sich an den besonderen Anforderungen der Rennstrecke von Le Mans mit ihren langen Geraden und dem Rest der Saison mit acht kompakteren Rennstrecken. Dort ist mehr aerodynamischer Anpressdruck gefordert, dafür ist geringer Luftwiderstand für die Höchstgeschwindigkeit weniger entscheidend. Der Unterschied zwischen beiden Karosserien beträgt bis zu 80 Prozent – und bleibt dem ungeübten Auge dennoch leicht verborgen.

Mehr als 20 Aerodynamik-Ingenieure arbeiten beim Le-Mans-Prototyp 919 Hybrid an den zwei Seiten derselben Medaille: Abtrieb und Luftwiderstand. Was erzeugt Abtrieb? Zum Beispiel ein steil angestelltes Front- oder Heckflügelprofil. Wenn die Luft unter dem Flügelprofil schneller strömt als die darüber, entsteht unter dem Profil ein geringerer Druck. Diese Druckdifferenz bildet jene Kraft, die Abtrieb heißt und das Fahrzeug auf die Straße presst. Allerdings muss der Gewinn von Abtrieb eben mit größeren Angriffsflächen für den Luftstrom bezahlt werden. Und ein höherer Luftwiderstand geht nun einmal zu Lasten der Höchstgeschwindigkeit.

Dabei sind Flügelprofile nur Bausteine im komplexen Ganzen. Jeder Quadratmillimeter an der Kohlefaserhaut des Prototyps, jeder Lufteinlass und -austritt, jede noch so feine Kante gehorcht dem Diktat aerodynamischer Effizienz. Die meisten für die Aerodynamik wichtigen Details sieht man gar nicht, weil sie sich unter dem Fahrzeug befinden oder innenliegend sind. Die Umströmung des gesamten Fahrzeugs und die Durchströmung der Karosserie stehen in komplizierten Wechselwirkungen zueinander und sind einer großen Bandbreite von Fahrsituationen ausgesetzt – Geradeausfahrten, Kurvenfahrten, Bremsphasen, Seitenwindeinflüsse, Windschatten oder auch tückische Verwirbelungen durch dichte Hinterherfahrten. Aufgrund der widersprüchlichen Anforderungen durch die Fahrsituationen in ein und demselben Rennen ist es unmöglich, jedes Detail für alle Fälle zu optimieren.

Auf welcher Rennstrecke das Pendel für die Detailveränderungen mehr Richtung Abtrieb oder eher zur Reduzierung des Luftwiderstands ausschlägt, ermitteln die Ingenieure in verschiedenen Stufen. Sofern vorhanden, spielen erfasste Vorjahresdaten eine zentrale Rolle und generell das Streckenprofil: Streckenführung, Topografie, Asphaltbeschaffenheit, zu erwartende Temperaturen.

Ehe überhaupt Karosserieelemente für den Porsche 919 Hybrid entworfen und als Modell gebaut werden, erlauben CFD-Systeme (Computational Fluid Dynamics) die Simulation von Wirkung und Zusammenspiel gerechneter Teile. Im nächsten Schritt ist der Modellbau gefragt – die Porsche-Ingenieure testen mit einem 60-Prozent-Modell im Windkanal des Williams-Formel-1-Teams im englischen Grove. Erst danach werden Komponenten in Originalgröße produziert und getestet. Ohne dieses sogenannte Rapid Prototyping wäre die Teileproduktion viel zu teuer und außerdem zu zeitintensiv. Ein großes Plus für die Weissacher Rennabteilung: Der neue 1:1-Windkanal des Porsche-Entwicklungszentrums, in dem das Auto in seiner vollen Größe erprobt werden kann. Damit rückten Serien- und Rennsport-Entwicklung auch in der Disziplin Aerodynamik noch enger zusammen.