Mit Neel Jani auf seiner Rekordrunde in Le Mans

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Am 10. Juni 2015 stellte Neel Jani in Le Mans einen neuen Qualifyingrekord auf – 3:16,887 Minuten, 249,2 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit.

„Es war Mittwoch, kurz nach 22 Uhr, noch nicht ganz dunkel, erstes Qualifying. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich nur eine einzige Qualifyingrunde bekomme. Unsicheres Wetter, und für Porsche ist es genauso gut, wenn ein Teamkollege die Pole holt. Vorsicht mit den Reifen auf der langen Einführungsrunde! Als ich Richtung Start und Ziel fuhr, sah ich einen LMP2. Ich wollte ihn am Anfang der Hunaudières-Geraden überholen. In der Tertre Rouge habe ich realisiert: Es passt nicht. Der LMP2 war zu weit weg, ich würde ihn in der ersten Schikane treffen und Zeit verlieren. Um das zu verhindern, habe ich mehr geboostet als gut ist. Die elektrische Energie fehlt einem später. Ich kam gerade noch am LMP2 vorbei, bevor ich mit dem Benzin sparen anfangen musste. Durch die Schikane und rausbeschleunigen. Trotz des nun geringeren Boosts hatte ich Zeit gewonnen. In der zweiten Schikane musste ich etwas früher vom Gas, um die Benzinmenge zu sparen, die ich vorher verbraten hatte. Weil ich langsamer war als sonst, habe ich zu früh gebremst. Anschließend kommt Mulsanne mit den Bodenwellen. Diesmal habe ich die Kehre perfekt getroffen und auch den Randstein am Kurvenausgang optimal erwischt, ohne in den Drehzahlbegrenzer zu kommen. Dann über die Kuppe geradeaus in Richtung Indianapolis – es kam eine Corvette in Sicht. Indianapolis ist eine schnelle Rechts-Links-Kombination. Ich habe überlegt: Wenn ich viel Speed mit durch die Rechtskurve nehme, komme ich zwar zu weit links raus, aber dann bleibe ich eben links und steche innen neben die Corvette. Ich habe viel Lichthupe gegeben und bin kompromisslos links reingefahren. Ich wusste, dass die Corvette eine Kamera nach hinten hat und mit einem Pfeil angezeigt wird, auf welcher Seite ein Auto angreift. Also dachte ich: Wenn das überhaupt gut geht, dann mit einer Corvette. Außerdem sitzen da in Le Mans nur Pros drin. Ich konnte mich gut in die Steilwandkurve reindrücken. Geschafft. Jetzt Arnage, eine extrem langsame Rechtskurve. Genau wie Mulsanne hat sie Bodenwellen in der Anbremszone. Diesmal war es eine Punktlandung. Rausbeschleunigen Richtung Porsche-Kurven. An der Stelle sieht man gut zehn Fahrsekunden voraus. Da war kein Auto mehr! Meine Stunde hatte geschlagen. Also am Limit durch die Porsche-Kurven. Einlenken in die erste Rechtskurve, sechster Gang. Dann kommt die erste Links, die zweite Links – ich habe stehenlassen. Das macht man sonst nicht. In den Porsche-Kurven darf nichts schiefgehen, sonst knallt es fürchterlich, das wissen wir. Aber in diesem Qualifying habe ich ein paar Zehntel mehr Risiko genommen. Also die zweite Links-, dann die lange Rechtskurve. Beim Richtungswechsel nicht zu weit rausrutschen, weil der Grip nur innen ist. Hat auch gepasst. Dann kommt Karting, eine nach außen abfallende Linkskurve. Das Auto untersteuert dort immer, man muss höllisch aufpassen, innerhalb der weißen Linie zu bleiben. Ich war jetzt vier Sekunden schneller als die Referenz. Noch zwei Schikanen, in denen viele geradeaus fahren, weil man nach den schnellen Porsche-Kurven Umstellungsprobleme hat. Bei der Ford-Schikane ist zudem der Eingang nicht zu sehen, im Dunkeln schon drei Mal nicht. Aber ich hatte mir den Bremspunkt gemerkt. Ausgangs der letzten Schikane das künstliche Gras vermeiden, sonst hat man keinen Grip zum Beschleunigen. Vollgas. Ziellinie. Ich dachte an den LMP2, das zu frühe Boosten, die Corvette... Dann sah ich die 3:16,887. Und ich war auch froh, dass ich das jetzt nicht noch einmal machen muss.“

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