Porsche 919 Hybrid

Rennfahrzeuge

Reglement-Verantwortliche und Rennsport-Ingenieure leben in Symbiose: Ebenso konsequent wie die einen die schnellen Le-Mans-Prototypen aus Sicherheitsgründen immer wieder einbremsen, versuchen die anderen stets, die Verluste auszugleichen. Die Methode der Porsche-Ingenieure: unablässige Effizienzsteigerung.

Vor allem in den Bereichen Aerodynamik, Fahrwerk und Verbrennungsmotor kommen am 2017er Porsche 919 Hybrid Neuerungen zum Einsatz.

„Insgesamt lässt sich der Anteil der Neuentwicklungen für die Saison 2017 auf 60 bis 70 Prozent des Gesamtfahrzeugs beziffern“, sagt Teamchef Andreas Seidl. „Das Basiskonzept des 919 Hybrid bietet weiterhin Spielraum zur Detailoptimierung und Effizienzsteigerung. Das Monocoque blieb gegenüber 2016 identisch, alle anderen Bauteile wurden auf ihr Optimierungspotenzial überprüft und mehrheitlich verändert.“ Das Monocoque besteht, genau wie in der Formel 1, aus Carbonfaser in Sandwichbauweise.

Aerodynamik

Das technische Reglement für die FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC schränkt für 2017 die Dimensionen einiger aerodynamisch relevanter Karosseriekomponenten weiter ein. Mit diesen neuen Maßen reduziert das Regelwerk den Abtrieb der Klasse-1-Prototypen und damit die Kurvengeschwindigkeiten. Dies dient der Sicherheit. Auf Basis der neuen Vorgaben und zusammen mit gewonnenen Erkenntnissen zur Weiterentwicklung schufen die Porsche-Ingenieure zwei komplett neue Aerodynamik-Pakete für den 919 Hybrid. Dahinter stand der Wunsch, den reglementbedingten Anstieg der Rundenzeiten möglichst wieder auszugleichen.

2016 hatte Porsche noch drei Aeropakete für die Saison aufgeboten, aber auch hier setzt das Reglement neue Grenzen. Andreas Seidl: „Die Beschränkung auf zwei aerodynamische Auslegungen pro Saison ist eine vernünftige Maßnahme im Sinne der Kostenkontrolle.“

Eines der neuen Aerodynamik-Pakete ist schwerpunktmäßig für den Hochgeschwindigkeitskurs von Le Mans ausgelegt. Für hohen Topspeed auf den extrem langen Geraden liegt dort der Fokus auf möglichst geringem Luftwiderstand. Beim zweiten Aeropaket nimmt man einen höheren Luftwiderstand in Kauf, gewinnt dadurch aber Abtrieb für kurvigere Rennstrecken. Streckenspezifische Detailanpassungen sind weiterhin erlaubt. Grundsätzlich müssen 2017 aber mehr Kompromisse eingegangen werden als mit den drei Aero-Paketen im Vorjahr.

Besonderes Augenmerk legten die Ingenieure darauf, den Vorderwagen aerodynamisch unempfindlicher zu gestalten. „2016“, so Seidl, „saugte die Frontpartie zu leicht Gummiabrieb von der Strecke auf. Dieser setzte sich fest und störte die Fahrzeugbalance. Das Phänomen wurde analysiert. In der Folge konnten wir die entsprechenden Karosserie-Teile optimieren.“

Beim Vorher-Nachher-Vergleich mit dem Vorjahres-919 fallen in der Frontansicht die höheren, breiteren und längeren Radhäuser ins Auge. Seitlich sind sowohl die angepassten hinteren Lufteinlässe für die Kühler als auch der neue Durchlass vom Monocoque zum Radhaus auszumachen.

„Durch die reglementbedingten aerodynamischen Einbußen rechnen wir in Le Mans mit einem Anstieg der Rundenzeiten von drei bis vier Sekunden“, kalkuliert Seidl. „Inwieweit sich das durch die verschiedenen Weiterentwicklungsmaßnahmen kompensieren lassen wird, ist noch nicht abzusehen.“

Antrieb

Zu diesen Weiterentwicklungsmaßnahmen gehört auch die neuerliche Effizienz- und Leistungssteigerung des Antriebsstrangs. Die Optimierungen betreffen die Getriebe an Vorder- und Hinterachse, den Verbrennungsmotor, die E-Maschine und die Rückgewinnungssysteme. Das Prinzip des Antriebs bleibt unverändert: Die Hinterachse des 919 wird von einem extrem kompakten Zweiliter-V4-Verbrennungsmotor angetrieben. Er verbindet Downsizing-Turbotechnologie mit effizienter Benzindirekteinspritzung, leistet knapp 500 PS (368 kW) und ist der effizienteste Verbrennungsmotor, den Porsche bislang gebaut hat. Darüber hinaus speisen zwei unterschiedliche Energierückgewinnungssysteme – Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie – über eine Lithium-Ionen-Batterie einen Elektromotor, der auf Abruf die Vorderachse mit zusätzlich über 400 PS (294 kW) antreibt. Der in Weissach entwickelte 919 Hybrid ist der einzige Prototyp, der nicht nur beim Bremsen, sondern auch beim Beschleunigen Energie zurückgewinnt. Er erreicht eine Systemleistung von mehr als 900 PS (662 kW) und profitiert von der enormen Traktion, wenn beim Herausbeschleunigen aus den Kurven mehr als 400 PS an der Vorderachse zupacken und den 919 in einen Allradler verwandeln.

Etwa 60 Prozent der zurückgewonnenen Energie trägt das KERS (Kynetic Energy Recovery System) der Vorderachsbremsen bei. 40 Prozent liefert die Abgasenergierückgewinnung (AER). Von der an der Vorderachse gewonnenen Bremsenergie wiederum werden durchschnittlich 80 Prozent direkt in Antriebsenergie umgewandelt. Müsste der Verbrennungsmotor diese elektrische Leistung darstellen, bräuchte er über 100 PS (74 kW) mehr Leistung, wodurch der 919 gut 20 Prozent mehr Kraftstoff verbrauchen würde. In Le Mans wäre das rund ein Liter pro Runde. Ein weiterer Vorteil der hocheffizienten Rekuperation ist, dass der 919 dadurch mit kleineren und leichteren Bremsen auskommt. Das spart nicht nur Gewicht, sondern auch Luftwiderstand, denn die kleineren Bremsen brauchen weniger Kühlluft.

Zur Abgasenergierückgewinnung sitzt im Abgastrakt eine kleine Turbine. Sie dreht mehr als 120.000 Mal pro Minute und treibt einen Generator an. Der so erzeugte Strom wird – genau wie jener, den die vorderen Bremsen zurückgewinnen – in der Lithium-Ionen-Batterie zwischengespeichert. Von dort kann der Fahrer die Energie per Knopfdruck abrufen. Er „boostet“ am Kurvenausgang und sammelt beim Beschleunigen auch bereits wieder neue Energie aus dem Abgas ein. Damit die Turbine auch bei niedrigen Drehzahlen, also mit entsprechend geringem Abgasdruck, effizient funktioniert, verfügt sie über eine variable Turbinen-Geometrie. Trotz der raffinierten Technik ist es gelungen, bei der Abgasanlage Gewicht einzusparen.

Seidl: „Unser Ziel war es, trotz vieler Neuerungen – von Fahrwerkselementen über die Karosserie bis hin zu den Updates im Antriebsstrang – nicht über das Fahrzeuggewicht vom Vorjahr zu kommen.“

Der 919 startet auch 2017 in der höchsten Energie-Effizienzklasse, die das Reglement vorsieht. Das bedeutet: Auf einer 13,629 Kilometer langen Runde in Le Mans darf er 8 Megajoule aus der Energierückgewinnung einsetzen, dafür aber maximal 4,31 Liter Benzin verbrauchen. Beide Verbrauchswerte werden streng überwacht, abgerechnet wird nach jeder Runde.

Fahrbarkeit und Reifen

Neben mechanischen Weiterentwicklungen des Fahrwerks tragen auch Software-Neuerungen zur verbesserten Fahrbarkeit des 919 bei. Diese betreffen insbesondere die Traktionskontrolle und das Hybridmanagement. Beides hat großen Einfluss auf die Haltbarkeit der Reifen, und diesem Punkt kommt 2017 eine noch größere Bedeutung zu. Pro Rennwochenende und Auto stehen den LMP1-Teams jetzt drei Reifensätze weniger zur Verfügung. Deshalb müssen die Reifensätze im Rennen häufiger Doppelstints aushalten – also die Reichweite von zwei Tankfüllungen. Das ergibt eine Fahrzeit von rund anderthalb Stunden. Andreas Seidl: „Zusammen mit unserem Partner Michelin haben wir uns intensiv vorbereitet, damit wir das Tempo auch bei Doppelstints bis zum Schluss hochhalten können. Denn die Rennen, ob sechs oder 24 Stunden, werden auch 2017 Sprintcharakter haben.“ In der Nacht von Le Mans, also bei kühleren Temperaturen, werden sogar Vierfachstints mit einem Satz Reifen gefahren.

Technisches Datenblatt

Monocoque Verbundfaser-Konstruktion aus Carbonfasern mit Aluminium-Wabenkern. Das Cockpit ist geschlossen.
Verbrennungsmotor V-Vierzylindermotor (90 Grad Bankwinkel) mit Turboaufladung, vier Ventile pro Zylinder, DOHC, ein Garrett-Turbolader, Benzin-Direkteinspritzung, Aluminium-Zylinder-Kurbelgehäuse voll tragend, Trockensumpfschmierung
Höchstdrehzahl: ≈ 9.000/min
Motormanagement Bosch MS5
Hubraum 2.000 cm3 (V4-Motor)
Leistung

Verbrennungsmotor: < 500 PS Hinterachse
MGU: > 400 PS Vorderachse

Hybrid-System KERS mit Motor-Generator-Einheit (MGU) an der Vorderachse, ERS zur Rückgewinnung von Abgasenergie. Speicherung in flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Batteriepacks (mit Zellen von A123 Systems)
Antrieb Heckantrieb, Traktionskontrolle (ASR), temporärer Allradantrieb per Boost über E-Maschine an der Vorderachse, sequenzielles, hydraulisch betätigtes Siebengang-Renngetriebe
Fahrwerk Vorne und hinten Einzelrad-Aufhängung, Pushrod-System mit einstellbaren Stoßdämpfern
Bremsanlage Hydraulische Zweikreis-Bremsanlage, Monoblock-Leichtmetall-Bremssättel, belüftete Kohlefaserbremsscheiben vorne und hinten, Bremskraft-Verteilung vom Fahrer stufenlos einstellbar
Räder und Reifen Magnesium-Schmiedefelgen von BBS; Michelin Radialreifen,
vorne und hinten: 310/710-18
Maße und Gewichte Mindestgewicht: 875 kg
Länge: 4.650 mm
Breite: 1.900 mm
Höhe: 1.050 mm
Tankinhalt 62,3 l
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