Mit Leichtbau und Zwölfzylinder an die Spitze

Porsche 917 – Entwicklung, Technik und Renneinsätze 1969

In wenigen Monaten und unter enormem Zeitdruck entwickelt Porsche 1968 den neuen Gruppe-4-Sportwagen vom Typ 917 für die 5-Liter-Klasse

Für das Motorsportjahr 1968 sehen die neuen Vorschriften der C.S.I. (Commission Sportive Internationale) bei den Sportprototypen wie dem neu konstruierten Porsche 908 eine Hubraumobergrenze von 3 Liter vor. Gleichzeitig wird für die Sportwagenkategorie der Gruppe 4 ein Maximalhubraum von 5 Liter festgeschrieben. Zunächst geht die neue 5-Liter-Grenze mit einer Mindestfertigungszahl von 50 Fahrzeugen einher, wird später jedoch auf nur noch 25 Einheiten reduziert.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Porsche-Rennentwicklung unter der Leitung von Ferdinand Piëch fest davon überzeugt, mit dem neuen 908 über das richtige Rennfahrzeug für die Markenweltmeisterschaft und den angestrebten Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans zu verfügen. Aufgrund des neuen Reglements ist jedoch damit zu rechnen, dass in naher Zukunft vermehrt Gruppe-4-Sportwagen in den Starterfeldern auftauchen und die von Porsche bis dahin favorisierte Strategie in Frage stellen werden.

Hans Mezger konstruiert den Zwölfzylinder-Rennmotor vom Typ 912

Unter der Maßgabe „Zwölfzylindermotor“ betraut Ferdinand Piëch daher Chefkonstrukteur Hans Mezger mit der Projektarbeit zu einem neuen 5-Liter-Sportwagen und bereits im Frühjahr 1968 beginnt dieser Wagen Gestalt anzunehmen. Der neue Zwölfzylindermotor bricht erstmals mit der Tradition des Boxermotors im Hause Porsche, denn es handelt sich um einen V-Motor mit einem Bankwinkel von 180 Grad. Für die Auslegung als V12 sprechen die gegenüber einem vergleichbaren Boxer geringere Baulänge und die verringerte Reibleistung aufgrund der geringeren Anzahl an Kurbelwellenhauptlagern. Unter Verwendung der Leistungsteile aus dem 3-Liter-Motor des 908 – Kolben, Zylinder, Ventile – entwickelt Hans Mezger den Zwölfzylindermotor mit 4.494 Kubikzentimetern Hubraum.

Besondere konstruktive Merkmale des neuen, mit Trockensumpfschmierung ausgestatteten Rennmotors sind das Leichtbaugehäuse aus Magnesium und der Mittelabtrieb zum Antrieb der beiden obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderreihe über Zahnräder. Wie alle bisherigen Porsche-Motoren ist er luftgekühlt und besitzt ein liegendes Gebläse. Die Gemischaufbereitung erfolgt über eine mechanische Saugrohreinspritzung mit einer 12-Stempel-Doppelreihen-Einspritzpumpe von Bosch. Die Motorbezeichnung Typ 912 ergibt sich aus der jüngeren Nomenklatur verschiedener Porsche-Rennfahrzeuge, bei denen die Fahrzeugbezeichnung auch die jeweilige Zylinderzahl des Motors beinhaltete – 904, 906 und 908. Das Gesamtfahrzeug und auch das Fünfganggetriebe erhalten hingegen die Typenbezeichnung 917.

Gesamtkonstruktion des 917 auf Basis der Erfahrungen mit dem 908

Für den Gesamtentwurf des neuen Porsche 917 steht der Sportprototyp 908 und mit ihm ein schlagkräftiges Leichtbaukonzept zum Erreichen des vom Reglement vorgegebenen Mindestgewichts von 800 Kilogramm Pate. Entsprechend verfügt auch der 917 über einen leichten Gitterrohrrahmen aus Aluminium, der nur rund 45 Kilogramm auf die Waage bringt. Trotz des deutlich länger bauenden Zwölfzylinders gelingt es, den Radstand des 908 von 2.300 Millimetern beizubehalten, indem das Cockpit samt Fahrersitz entsprechend weiter nach vorne rückt. Wie beim 908 soll auch die Außenhaut des 917 aus Glasfaserlaminat gefertigt und im Bereich des Bugteils, Dachs sowie der Tür- und Fensterrahmen fest mit dem Aluminium-Rohrrahmen verklebt werden.

Von Beginn an sieht Hans Mezgers Layout für den 917 eine Basisversion mit einem zusätzlich zu montierenden Langheckteil vor. Die zum Homologationsumfang zählende Heckverlängerung – das Langheck – für die Hochgeschwindigkeitsstrecke in Le Mans kann für den Einsatz auf anderen Kursen einfach demontiert und der 917 damit in eine Kurzheck-Version verwandelt werden.

Aerodynamische Entwicklung des 917 in Windkanälen

Gemäß der technischen Vorgaben erfolgt die Formgebung der Karosserie in der Porsche Designabteilung. Zunächst entsteht ein Plastilin-Fahrzeug im Maßstab 1:5 und kurze Zeit später auch ein 1:1-Modell, mit denen in den Windkanälen des Forschungsinstitutes für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren an der Universität Stuttgart (FKFS) Versuche angestellt werden. Ergänzend dazu unterstützen Charles Deutsch und sein in Paris ansässiges Institut SERA (Société d’études et de réalisations automobiles) die aerodynamische Entwicklung des 917.

Daraus hervor geht schließlich ein Karosserieentwurf, der sowohl bei der Kurzeck- als auch bei der Langheck-Variante je zwei am Heck sowie vorne seitlich montierte verstellbare Luftklappen vorsieht. Deren Anlenkung erfolgt links wie rechts mittels einer Kinematik von der jeweiligen Radaufhängung aus. Federt das Fahrzeug ein, stellen sich die Klappen flach. Federt es aus und würde möglicherweise sogar zum Abheben neigen, stellen sich die Klappen hingegen schräg nach oben und erzeugen Abtriebskräfte.

Leichtbau-Fahrwerk und Hochleistungsbremsen

Das Fahrwerk des 917 verfügt über Doppel-Querlenker-Achsen mit den Vorteilen geringen Gewichts und einem breiten Spielraum hinsichtlich der Auslegung der Radkinematik. Für vielfältige Einstellmöglichkeiten sorgen hier spielfreie Uniball-Gelenke. Um die Seitenneigung gering und die Relativstellung der Räder zur Fahrbahn im optimalen Bereich zu halten, sind an der Vorder- und Hinterachse Torsionsquerstabilisatoren eingebaut. Sie sind über Gelenkstangen mit den Radträgern verbunden und ermöglichen durch Veränderung der Hebelarmlängen eine weitere Abstimmung des Fahrwerks. Wie die Radträger sind auch die 15-Zoll-Räder aus einer leichten Magnesiumgusslegierung gefertigt. Dem konsequenten Streben nach Leichtbau und nach geringen ungefederten Massen sind auch die Radnaben aus Titan geschuldet, welche die Räder jeweils über einen Zentralverschluss mit großer Leichtmetallmutter aufnehmen. Ebenfalls aus Titan sind die konisch geschliffenen Schraubenfedern für die vier Gasdruckstoßdämpfer gefertigt.

Eine komplette Neuentwicklung stellt auch die Bremsanlage des als Rechtslenker konzipierten 917 dar. Herzstück ist ein neuer, aus drei Teilen bestehender Vierkolben-Bremssattel. Das Mittelteil, welches die Bremsscheibe umgreift und mit dem Radträger verschraubt wird, ist wieder aus Titan gefertigt. Die beiden Zylinderbrücken auf den Außenseiten beherbergen je zwei Bremskolben und bestehen aus einer Aluminiumgusslegierung. Der 917 verfügt über zwei getrennte Bremskreise mit je einem Hauptbremszylinder und einer dazwischen liegenden Wippe, die eine Feinjustierung der Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse ermöglicht. Auf höchste Bremsleistung und Standfestigkeit sind die innenbelüfteten Grauguss-Bremsscheiben ausgelegt. Dem Leichtbau und geringstmöglichen rotatorischen Massen trägt der aus Aluminium gefertigte Bremsscheibentopf Rechnung. Er nimmt die Bremsscheibe über eingefräste Nuten, einen Befestigungsring und zwölf Schrauben auf. Gegenüber einteiligen Gussbremsscheiben bietet diese Konstruktion auch den Vorteil einer deutlich verringerten Gefahr von Rissbildungen.

Wettlauf mit der Zeit in Stuttgart-Zuffenhausen

Als im Dezember 1968 mit dem Bau der für die Homologation notwendigen 25 Exemplare begonnen wird, bleibt nicht viel Zeit, denn von Beginn an verfolgt Ferdinand Piëch das Ziel, den Porsche 917 auf dem Genfer Automobilsalon im März 1969 zu präsentieren. Für die Fahrzeugmontage in der Versuchs- und Rennabteilung im Werk 1 in Stuttgart-Zuffenhausen werden daher 13 Arbeitsgruppen mit insgesamt 45 Rennmechanikern gebildet. Weitere zehn Mechaniker kümmern sich um die Vormontage von Komponenten. Während Motor, Getriebe und Fahrwerk in Stuttgart-Zuffenhausen gebaut werden, erfolgen die Fertigung der Aluminium-Rohrrahmen im Karosseriewerk Baur in Stuttgart und der Bau der Kunststoffkarosserie in der Waggonfabrik Rastatt.

Zu diesem Zeitpunkt bringt das erste, noch aus Prototypenteilen gefertigte Exemplar von Hans Mezgers Zwölfzylindermotor bereits Prüfstandsläufe hinter sich und erreicht auf Anhieb eine Leistung von 542 PS. Eine exzellente Ausgangsbasis für den 4,5-Liter-Motor, der es wenige Monate später im April 1969 auf rund 580 PS bringen wird.

Wenig mehr als zwei Monate bleiben bis zum Präsentationstermin in Genf und so wird in allen Gewerken – nur kurz vom Weihnachtsfest unterbrochen – nahezu rund um die Uhr fieberhaft gearbeitet. Ende Januar 1969 liefert Baur den ersten Aluminium-Rohrrahmen an die Waggonfabrik Rastatt und am 1. März trifft schließlich die Rahmen-Karosserieeinheit für den ersten Porsche 917 mit der Chassis-Nummer 917-001 zur Endmontage in Stuttgart-Zuffenhausen ein. Am Abend des 10. März 1969 – unmittelbar vor dem Transport nach Genf – ist der 917-001 schließlich fertiggestellt.

Der neue 917 wird auf dem Genfer Salon präsentiert

Am 12. März 1969 um 15 Uhr ist am Messestand der Porsche KG die gesammelte Weltpresse versammelt, nachdem der Sportwagenhersteller zuvor am 3. März mit folgender Verlautbarung für Spannung gesorgt hatte: „In den Zuffenhausener Werken des Hauses Porsche ist zurzeit ein neuer Sportwagen mit der Bezeichnung 917 in Produktion. Dieses in seiner Charakteristik aufsehenerregende Modell wird bei der Genfer Automobilausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Genfer Salon de l’Auto findet zwischen dem 13. und 23. März statt. Die Präsentation des Porsche 917 erfolgt während des offiziellen Pressetages am 12. März.“ Damit erzielt Porsche ein weltweites Echo und weckt sowohl in der Fachwelt als auch bei den Motorsport-Fans hohe Erwartungen.

Die Eckdaten des neuen Gruppe-4-Sportwagens lesen sich beeindruckend: 520 PS bei 8.000/min, ein maximales Drehmoment von 46 mkp (451 Nm), dazu der ausgewiesene Kaufpreis von DM 140.000.- ab Werk. Die Leistungsangabe spiegelt zu diesem Zeitpunkt nicht den tatsächlichen Stand des 4,5-Liter-Motor wider. Vielmehr handelt es sich dabei um eine rein rechnerische Angabe auf der Basis eines Sechszylinder-Versuchsmotors vom Typ 916, der es bei 2,25 Litern Hubraum auf 260 PS gebracht hatte.

Endspurt in Zuffenhausen für die Homologation

Im Anschluss an die erfolgreiche Vorstellung des neuen Porsche 917 wird in Stuttgart-Zuffenhausen mit unvermindertem Einsatz an den weiteren 24 für die Homologation notwendigen Fahrzeugen gearbeitet. Am 20. März 1969 erfolgt die technische Abnahme des 917 und am 21. April 1969 ist es schließlich soweit: Der englische F.I.A.-Delegierte Dean Delamont und der deutsche O.N.S.-Vertreter Herbert Schmitz begutachten im Hof von Werk 1 in Stuttgart-Zuffenhausen die vom Reglement geforderten 25 fahrbereiten Exemplare des „Weißen Riesen“, wie der 917 mittlerweile intern genannt wird. Tags darauf meldet die Porsche Presseabteilung in ihrer Mitteilung: „Damit ist der Porsche 917 ab 1. Mai 1969 als Sportwagen homologiert und wird voraussichtlich am 11. Mai bereits sein Debut beim 1.000-Kilometer-Rennen von Spa geben.“

Die ersten Renneinsätze in Spa und auf dem Nürburgring

Obgleich am 29. und 30. März die Vortests für die 24 Stunden von Le Mans gefahren und dabei einige Kinderkrankheiten ausgemerzt werden, muss Gerhard Mitter die Rennpremiere in Spa bereits nach der ersten Rennrunde wegen einer gebrochenen Ventilfeder beenden. Als letzte Generalprobe für Le Mans verbleibt schließlich das 1.000-Kilometer-Rennen am 1. Juni auf dem Nürburgring. Dort bringen die beiden englischen Fahrer David Piper und Frank Gardner den 917 erstmals ins Ziel. Mit einem achten Platz komplettieren sie den großartigen Triumph der Porsche 908 und das famose Ergebnis von insgesamt acht Porsche-Rennfahrzeugen unter den ersten Zehn.

Dominanz und Drama in Le Mans

Neben verschiedenen Detailoptimierungen im Bereich der Fahrwerksabstimmung tritt Porsche am 14. und 15. Juni in Le Mans zwar nach wie vor mit den gesteuerten Luftklappen am Heck, jedoch mit starr montierten Spoilerklappen am Bug an. Insgesamt vier 917 hat Porsche an die Sarthe gebracht. Zwei Langheck-Versionen als Werkswagen, ein weiteres Langheck-Fahrzeug zu Trainingszwecken sowie einen weiteren 917 Langheck als Kundenfahrzeug des Teams Woolfe.

Als am Samstagnachmittag um 14 Uhr der Start erfolgt, stehen vier Porsche-Werkswagen ganz vorn. An der Spitze der 917 mit Rolf Stommelen und Kurt Ahrens, gleich dahinter der zweite 917 mit Vic Elford und Richard Attwood, gefolgt vom 908 Langheck-Spyder mit Joseph Siffert und Brian Redmann sowie dem 908 Langheck-Coupé, gefahren von Rudi Lins und Willi Kauhsen. Der dritte Porsche 917 mit John Woolfe und Herbert Linge nimmt das Rennen vom neunten Startplatz auf.

Bereits in der ersten Rennrunde verunglückt John Woolfe tödlich und nach 14 Stunden scheidet der 917 mit Stommelen und Ahrens wegen schleifender Kupplung aus. Hoffnungsvoll ist jedoch der dritte 917 mit Elford und Attwood unterwegs. Nach 21 Stunden liegt er mit sechs Runden Vorsprung in Führung. „Der Motor lief bis dahin wie ein Uhrwerk. Völlig problemlos!“, erinnert sich Hans Mezger, der just zu diesem Zeitpunkt kurz zum Mittagessen geht. „Als ich wieder zur Box zurücklief, hörte ich bereits, dass etwas nicht stimmte“, gibt er den Moment wider, als auch der auf Siegkurs fahrende 917 mit gerissenem Getriebegehäuse ausfällt. Kaum als Trost kann die Porsche-Rennmannschaft den zweiten Platz im Gesamtklassement durch Hans Herrmann und Gerard Larrousse im 908 Langheck-Coupé verbuchen. Nach 372 Rennrunden fehlen den Porsche-Werksfahrern gerade mal rund 120 Meter zum ersehnten Sieg.

Weiterentwicklung mit den Erfahrungen von Le Mans

Doch Le Mans hat schonungslos aufgezeigt, wo es den 917 noch zu verbessern gilt und so finden vor dem letzten Rennen in diesem Jahr, dem „Großen Preis von Österreich“ am 10. August in Zeltweg in der Steiermark, noch ausgiebige Tests und Versuchsfahrten statt. Unter anderem auf der Südschleife des Nürburgrings als Auftakt eines von Renningenieur Peter Falk initiierten Programms zur Verbesserung der Fahrstabilität. Es folgen weitere Tests auf dem Skidpad in Weissach sowie in Hockenheim. Änderungen am Aluminium-Rohrrahmen und Modifikationen an der Karosserie sollen die Fahreigenschaften des 917 weiter verbessern.

Der erste 917-Sieg beim letzten Rennen in Zeltweg

Auf der völlig neuerbauten Strecke in Zeltweg schickt Porsche neben zwei 908 Langheck-Spyder sowie einem 908 Kurzheck-Spyder in Kundenhand auch zwei 917 Kurzheck mit den Fahrerpaarungen Joseph Siffert und Kurt Ahrens sowie Brian Redman und Richard Attwood ins Rennen. Die offizielle Eröffnung des Österreichrings wird schließlich zum großen Tag für Porsche und die unermüdlich arbeitende 917-Mannschaft. Nach 170 Rennrunden gelingt dem Duo Siffert und Ahrens der ersehnte erste Sieg und mit Redman und Attwood landet auch der zweite 917 auf dem Podest. Der erste Erfolg für den 917 beim letzten Rennen des Jahres markiert den Abschluss einer von extremer Test- und Entwicklungsarbeit geprägten Saison. Gleichzeitig ist Zeltweg der Auftakt zu weiterer intensiver Entwicklungsarbeit und einer beispiellosen Erfolgsserie, deren Höhepunkt zweifellos der erste Gesamtsieg von Porsche bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1970 darstellt.

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